© Martin Elsbroek
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Wortkunst

Warum ich schreibe

Leben ist langweilig, ich mache Erfahrungen nur noch, wenn ich schreibe.“

Diesen Satz diktiert Max Frisch in Montauk einem amerikanischen Journalisten in den Notizblock. „Eigentlich kein Witz; er lacht trotzdem.“

Ob Witz oder nicht: Wahr ist, dass das Schreiben dem Schreibenden Erfahrungen verschafft, die er ohne das Schreiben nicht hätte.

Es ist die Erfahrung des eigenen Selbst, die der Schreibprozess zutage fördert. Nämlich die Erfahrung überraschender Einfälle, neuer Einsichten, verschütteter Erinnerungen. Mithin die Erfahrung der eigenen Kreativität.

Gesine Cresspahl, die zentrale Figur der Jahrestage von Uwe Johnson, lebt in New York und erzählt ihrer Tochter Marie eine Kindheit in Mecklenburg. Es ist die eigene Kindheit, eine Kindheit unter dem Hakenkreuz. Marie verwickelt ihre Mutter in ein Gespräch über das Erzählen und das Erinnern:

- Was Dir fehlt beim Erzählen, füllst Du auf mit anderem, und ich glaube es doch: sagt sie.

- Nie habe ich die Wahrheit versprochen.

- Gewiß nicht. Nur deine Wahrheit.

- Wie ich sie mir denke.

- Gesine, es gibt doch Dinge, die weißt du.

- Friedrich Jansens Spreizbeinmeter. Aber ich weiß nicht, weshalb meine Erinnerung es aufgehoben hat. Warum nicht einen anderen Anblick, einen mehr vernünftigen Wortwechsel?

- Die Katze Erinnerung, wie du sagst.

- Ja. Unabhängig, unbestechlich, ungehorsam. Und doch ein wohltuender Geselle, wenn sie sich zeigt, selbst wenn sie sich für unerreichbar hält.“

Der Schreibprozess: Er krault der „Katze Erinnerung“ das Fell, wohl wissend, dass sie sich jedem Machtwort verweigert. Schließlich ist sie kein Hund. Und gelegentlich zeigt die launische Diva sich erkenntlich mit Einfällen und Assoziationen. Nie weiß man, wohin sie führen.

© Martin Elsbroek 2024